Diskussionsrunde Radio Helsinki: DIY und Gegenkultur

Diskussionsrunde Radio Helsinki: DIY und Gegenkultur

Dieser Post spricht nicht fürs spektral, sondern ist ein Kommentar von Chris.

Link zu Radio Helsinki, leider noch ohne Audiomitschnitt.

Zusammenfassung

Zuerst möchte ich mich sehr bei Radio Helsinki und den Diskutant_innen für die anregende Diskussion bedanken, die über das ursprünglich angesetzte Thema DIY & Gegenkultur hinaus, verschiedenen Argumentationslinien (Feminismus, Kapitalismuskritik, Poststrukturalismus) durchlief, und beim Sub fürs Hosten des Abends. Das gewählte Format war eine Fishbowl: Ähnlich einer Podiumsdiskussion, aber ohne fixe Podiumsdiskutant_innen. Diese konnten jederzeit durch Handzeichen abgelöst werden, und Menschen aus dem Publikum jederzeit nach vorne. Damit sollte das klassische “Experten vertreten Positionen”-Schema aufgehoben werden.

Die Diskussion hat nochmals verdeutlicht dass die Frage geklärt werden muss, welche Position ein Projekt wie das spektral in diesem Diskurs einnehmen will und kann.

Nacherzählung der Diskussion

Mit einem intensiven Impulsreferat von Johannes Grenzfurthner (monochrom) wurde der Abend eröffnet: Wo ist Subversion heute noch möglich? Was ist in den letzten Jahrzehnten passiert, dass politischer Aktivismus kaum noch Widerhall findet, und wenn dann nur als in die Medienlandschaft vollintegrierte Randnotiz? Wie kann man auf Konflikte und Missstände hinweisen, wenn es keine Tabus mehr gibt und keine noch so bizarre Aktion mehr kritische Aufmerksamkeit erregen kann? Diese wichtigen Fragen wurden im Laufe der Diskussion nicht geklärt und das ist ein Grund, warum diese Diskussion nach Kräften weitergeführt werden muss.
In den letzten Jahrzehnten habe demnach ein Übergang stattgefunden, von Foucaults Disziplinargesellschaft zu Deleuzes Kontrollgesellschaft: Es gibt noch immer Herrscher und Beherrschte, der Eindruck mehr Selbstkontrolle bedeute mehr Freiheit, täuscht. Geändert hat sich die Form der Beherrschung, die die Bedürfnisse des kapitalistischen Systems in das Denken und Handeln der Menschen internalisiert hat, und auch zu verdrehten Formen des Aktivismustheaters und massiver Selbstausbeutung geführt hat.
Für Künstler_innen bleibe noch die Möglichkeit der Subversion im Deckmantel verschachtelter Komplexitäten, die verschiedene kontextabhängige Realitäten schafft, die je nach Bedarf und Message herangezogen werden können (s. Georg Paul Thomann). Ende des Impulsreferats.

Danach lief die Diskussion über mögliche Vereinnahmung subkultureller Freiräume und wie sie verhindert werden kann. Ein einfaches Mittel wäre dazu die Anbringung klarer Botschaften und Statements in den Räumen, die ganz klar kommunizieren, welche Werte und Normen gelten.

Der nächste Einwurf war, dass es im Kapitalismus als totalitärem System (es gibt kein Außerhalb mehr), keine Möglichkeit zum Widerstand gebe, da sich der Kapitalismus die Möglichkeiten verschafft habe, jeden Widerstand sofort in Systemstabilisation und -reproduktion umzuwandeln: Vermassung von Gegenbewegungen und Monetarisierung qualitativer Kritik. Dieser Diskussionsstrang verlief im Sande.

Danach kehrte die Diskussion wieder zurück zur Frage, welche Rollen DIY-Kultur und subkulturelle Blasen spielen.
DIY sei der breitesten Definition ist nicht automatisch subversiv oder anti-kapitalistisch (die Bandbreite von Supermarkt-Heimwerker-DIY bis zu Selbstversorger_innen ist bekannt), DIY könne sogar Erfüllungsgehilfe des herrschenden Systems werden, insofern es dazu dient, Mängel des Systems zu kompensieren (via Selbstausbeutung der Widerständler).

Die Fishbowl-Diskussion kam nach knapp zwei spannenden und interessanten Stunden zu einem Ende, und das Publikum teilte sich schnell in weiterdiskutierende Kleingruppen auf, dazu gabs veganes Buffet. Das Fishbowl-Format hat leider nicht wirklich funktioniert, es kam zu keiner Auswechslung der Podiumsdiskutant_innen durch das Publikum.

Ich hoffe die Zusammenfassung war so wenig wie möglich subjektiv, und ich bitte um weitere Perspektiven via Comments!

Es folgt eine persönliche Meinung & Interpretation

Wie kann Subversion heutzutage ausschauen? In der heutigen Zeit, in der Symbole und Sinnzusammenhänge die handlungsbestimmenden Elemente sind, und diejenigen die Herrschenden sind, die Symbole prägen und Sinnzusammenhänge festlegen – somit die Deutungshoheit über soziale und kulturelle Prozesse haben – ist Subversion vor allem Offenlegung und Sichtbarmachung jener Prozesse, und nachfolgend Umdeutung, Verfremdung, Substitution. Hierfür stehen verschiedene Methoden der Kommunikationsguerilla zur Verfügung.

Um die in der Diskussion geäußerte Kapitalismuskritik etwas zu verfeinern, hier ein paar den Kapitalismus reproduzierende Elemente: Eigentum und somit Ausschlussmöglichkeit von Produktionsmitteln und Wissen, Kontrolle über und Entfremdung vom Ergebnis schöpferischer Prozesse, Inklusion von Gegenbewegungen und systematische Vernichtung von Alternativen, extreme Arbeitsteilung die zu Nichtverständnis globaler Zusammenhänge bei gleichzeitiger existenzieller Abhängigkeit vom Weiterfunktionieren des Systems führt, Konsum als definierender Akt des Menschen.

In diesem totalitären System sei also keine Aktion möglich, die nicht auch in irgendeiner Art das System unterstützen würde, die beste Aktion also Inaktion wäre. Solange es aber kein Alternativsystem gibt, das die Bedürfnisse der Menschen erfüllen kann, wird es immer Unterstützer_innen geben. Diese Sichtweise halte ich für fatalistisch, da sie mit dogmatischem Standpunkt jede konstruktive Weiterentwicklung per se ausschließt.

Verschiedene Techniken der Subkulturen, als Denkansatz und Werkzeug, können bei gezieltem Einsatz genau dort ansetzen: Selbstermächtigung durch Verständnis und erhöhte Kontrolle über unmittelbare und mittelbare Umwelt, Schaffung nicht nur von “Wissen wie”, sondern auch “Wissen warum” und “Wissen was” (Know-What, Know-How and the Politics of Knowledge for Social Change).

Es bleibt auch für mich noch eine offene Frage: Wie kann spektral nicht nur zur Befreiung einer privilegierten Gruppe beitragen und sich trotz ständiger Verstrickung mit Institutionen aller Art dennoch einen Freiraum erhalten, der einen Widerstandspunkt ermöglicht? Einfach hier drunter auf “comment” klicken, Feedback & Kommentare ansonsten gerne auch an chris [at] spektral.at.

Tagged with: , ,
2 comments on “Diskussionsrunde Radio Helsinki: DIY und Gegenkultur
  1. flowing says:

    Fotos von gestern:
    http://www.info-graz.at/veranstaltungen-events/ov

    Der Download des Forschungsberichtes folgt bald…

  2. flowing says:

    Hier geht es weiter :)

    Kulturen des Alltags – DIY Culture and Science
    This event is on 19 June 2012 7:00pm

    Eine kritisch wissenschaftliche Reflexion auf die “DIY-Subkultur”
    Im Rahmen des soziologischen Forschungspraktikums “Kulturen des Alltags” an der Uni Graz beschäftigte sich seit Oktober 2011 eine Gruppe mit dem Thema “DIY-Culture” und mit der Frage, was deren spezifische Merkmale und Ausprägungen sind. Bei einem Vortrag werden die Ergebnisse der Studie präsentiert und anschließend in der Gruppe diskutiert.

    http://spektral.at/termine/kulturen-des-alltags-d