Präsentierteller: DIY – ein Leben weg vom Fließband und der Shopping Mall? (Teil 1)

Am 19.06. hatten wir das Vergnügen, die Arbeit “DIY: ein Leben weg vom Fließband und der Shopping Mall?” im spektral vorstellen zu dürfen, und danach in eine kritische Diskussion einzusteigen. Die Arbeit wurde vorgestellt von Tom, Drazen, Max und Michi, und wurde in einem Zeitraum von 10 Monaten erstellt.

In diesem Teil möchte ich die für das spektral (aus meiner Sicht) relevanten Thesen der Arbeit zusammenfassen. In Teil 2 möchte ich, in einer Zusammenstellung aller angeführten Argumente, die Aussagen der Arbeit und der Diskussion auf ihre praktische Anwendbarkeit in unserem Projekt untersuchen. Für kritische Anmerkungen, Korrekturen und Kommentare steht die Kommentarfunktion zur Verfügung oder per email an chris [et] spektral . at.

Theoretische Grundlagen

DIY als theoretisches Konzept wurde aufgefasst als “Gruppen, Initiativen und lose Zusammenschlüsse die eben nicht kommerziell ausgerichtet sind und die aber den Anspruch haben, zumindest diese kommerziellen Strukturen zu sublimieren”. Verwendete Methoden waren Interviews und offene, teilnehmende Beobachtung.

Grundlegende theoretische Konzepte die verwendet wurden sind Bourdieus Habitus und Foucaults Diskurskonzept.

Der Habitus einer Person lässt sich beschreiben als das Auftreten einer Person, wie sie sich präsentiert (in Kleidung, Sprache, Geschmack). Dieser äußerliche Habitus lässt sich auch klassenspezifisch sehen. Der äußere Habitus bildet sich weil die Person verschiedene Kapitalsorten besitzt: ökonomisch (Geld), sozial (Beziehungen, soziale Kreise), kulturell (Titel, Bildung). Dahinter existiert der innere Habitus der Muster von Denken, Wahrnehmen und Handeln strukturiert. In den inneren Habitus wird man hineinsozialisiert, bis man den Klassenhabitus annimmt und weitertransportiert. Man kann ihn auch als Wissensvorrat bezeichnen.

Foucaults Diskurstheorie bezeichnet herrschende Aussagen zu einem bestimmten Zeitpunkt, die mit- und gegeneinander um die Vorherrschaft ringen. In Diskursen wird der Sinn und die Bedeutung von etwas verhandelt. Ein Diskurs entscheidet was sagbar ist und was nicht sagbar ist, er kann repressiv aber auch produktiv sein. Ein Diskurs erzeugt eine Wissensordnung, und diese Ordnung ist geprägt durch Machtverhältnisse, dadurch welche Aussagen in dieser Ordnung als gültig zählen. Diskurse wirken also normierend auf eine Gesellschaft.

Zusammenfassung der Ergebnisse

DIY ist mit einem differenzierten Blick zu betrachten: es gibt keine prinzipielle Kapitalismus- oder konsumkritische Position, man kann DIY daher eher als Subkultur statt als Gegenkultur bezeichnen. Es gibt schon Abgrenzungen zu den Normen der herrschenden Kultur, welche aber vage bleiben. DIY ist keine Einheit im Sinne des klassischen Marxismus (Klasse, Partei, Masse -> z.B. Proletariat als Einheit gegen Bürgertum als Einheit). Heutige soziale Bewegungen teilen nicht mehr alle Denkmuster und vertreten teilweise differente Positionen.

Beobachtete Motivationen um im DIY-Umfeld aktiv zu werden, haben im Zentrum die Erarbeitung eines Freiraums: “Die Befreiung dieses Raumes von den vorgegebenen  Strukturen, v.a. kommerzialisierter Natur, sowie die Rückführung des Raumes zum Gemeinwohl ist dabei Kern der „reclaim the streets“-Auffassung. Konkret forderten unsere Befragten einen Raum, frei von Konsumzwängen, in dem sich darin aufhaltende Menschen nicht in die Rolle des passiven Konsumenten gedrängt werden” (S. 28). Eine weitere Motivation ergibt sich aus konkreten Entfremdungserfahrungen (vom Produkt der Arbeit, von der Arbeit selbst, Selbstentfremdung und Entfremdung zwischen Menschen) (S. 30 – 37).

DIY-Habitus

Für den Einstieg in das DIY-Umfeld wurden drei Elemente als ausschlaggebend analysiert (Zitate S. 39f):

Selbstreflexion: Darunter verstehen wir ein auf sich selbst bezogenes Denken, den Versuch oder Drang, eigene Handlungen in Bezug auf einen spezifischen Standpunkt bzw. ein Ideal hin zu prüfen und eventuell auftretende Dissonanzen zur Realität wahrzunehmen. Die konsumorientierte Lebensweise stellt manchmal den Bezugspunkt der Selbstbeschäftigung dar und führt zu neuen Situationsdefinitionen, die das eigene Selbstbild verändern. Diese Infragestellung des Selbst im eigenen habituellen Rahmen, kann dabei auch belastend sein.

Kritikfähigkeit: Einher mit der eben genannten Praktik, über sich und die Welt zu reflektieren, muss nicht nur die Fähigkeit gehen, nach der Verantwortung für die wahrgenommenen Probleme zu suchen, sondern gleichzeitig auch der Wille, praktische Konsequenzen aus der daraus formulierten Kritik zu ziehen. Diese habituell vorstrukturierte Fähigkeit äußert sich im Feld in einer janus-köpfigen Gestalt: Auf der einen Seite lässt es das Feld zu, die eigenen Prämissen ständiger Kritik auszusetzen, zu überdenken und zu verändern, was zu einer partiellen Dynamik der Positionierung beiträgt. Auf der anderen Seite ist auch die Kritikfähigkeit eine habituell geprägte Handlungsroutine, welche es zwar innerhalb des Feldes erlaubt Kritik zu äußern, die Thematisierung bestimmter Prämissen jedoch von Anfang an kategorisch ausschließt.

Diskussionskultur: Das Feld zeichnet sich wie oben genannt unter anderem dadurch aus, dass Kritik (zumindest in feldintern  anerkannten Formen) erwünscht wird, um daraus gemeinsam Verbesserungen erarbeiten zu können. Die Diskussion dient hier als Harmonisierungsprozess, an dem jede_r teilnehmen kann. Unterstrichen wird dabei oft, dass der Versuch eines hierarchielosen Diskurses angestrebt wird, in dem Entscheidungen unter Berücksichtigung aller getroffen werden. Jedoch gilt es zu bedenken, dass sich diskursive Machtverhältnisse auch hier ausbilden und das Ideal von der sozialen Realität eingeholt wird. So werden ebenfalls Kontinuitäten tradierter Machtverhältnisse reproduziert. Das Feld unterstellt sich zwar sehr oft eine Offenheit nach außen hin, dennoch ist es praktisch nicht möglich, die oft gewünschte Kritik am Feld zu äußern, ohne selbst daran Teil zu nehmen.

Einschreibungen

Unter dem Konzept der “Einschreibungen” werden mehrere Prozesse zusammengefasst, die für DIY-interne Spannungsverhältnisse und argumentative Widersprüche sorgen (Zitat S. 49f):

Einen der differenziertesten Prozesse stellt die Einschreibung des vorherrschenden Diskurses in das Feld des DIY dar. In den Daten zeigten sich zwei Wege, wie diese Einschreibeprozesse mithilfe eines bildlich gesprochenen „Trojanischen Pferdes“ vonstattengehen. Wie wird nun gerade im Bereich des „Freiraums“- also im eigentlichen Gegendiskurs – der vorherrschende Diskurs weitergeführt? Zum einen zeigt sich, dass sich im Feld eine großteils intellektualisierte Kultur eingefunden hat, in der auch vom vor
herrschenden Diskurs wahrgenommene Formen der Kritik und Vertreter, wie Poststrukturalismus und postkoloniale Theorie einfließen. In diesem Fall werden nur bestimmte Formen der Artikulation vom Habitus überhaupt als Kritik angesehen. Im Feld werden deshalb zB. Formen nicht intellektueller Kritik (wie etwa die HipHop-Kultur) kaum bzw. gar nicht wahrgenommen. Weil sie nicht im Code des Feldes artikuliert sind, werden andere Widerstandsformen nicht gehört, da schon hegemonial geprägt ist, was überhaupt gehört werden kann. Im Feld reproduzieren sich dann diese akzeptierten akademischen bzw. intellektuellen Formen der Kritik.

Um Förderungen zu bekommen, muss die Sprache des vorherrschenden Diskurses übernommen werden, eigene Ziele müssen in diese übersetzt werden, um sie honorierbar zu machen. Dabei müssen Effizienz und Publikumswirksamkeit für die jeweiligen Projekte geachtet werden, welche den Kriterien der Gewinnunabhängigkeit widersprechen können. Förderungen sind aber nicht als etwas per se Schlechtes einzustufen, jedoch sind diese meist an oben erwähnte Bedingungen geknüpft, die der Logik des DIY entgegen stehen können. Pettenkofer betont, dass es einer Protestbewegung (bei uns Subkultur) eigentlich widerstrebt, ihre Anerkennung aus der herrschenden Ordnung und deren Akteur_innen zu beziehen. Sonst würde ein Anpassungsprozess stattfinden, der die Subversion einfach abschafft. Das Feld befindet sich hier im Spannungsfeld zwischen Autonomie und Erweiterung der Möglichkeiten.

Die Arbeit endet mit einer offenen Frage, die sich auch das spektral immer wieder stellt und neu beantworten muss:

Die letzte Frage die gestellt werden kann ist die, ob DIY nun tatsächlich Freiheit bzw. Widerstand bedeutet oder ist sie doch nur eine subtile Form der Integration in eine Ordnung. Die Antwort darauf wollen wir im Sinne der Selbstermächtigung den Leser_innen überlassen und hoffen ein ausreichend differenziertes Bild geboten zu haben, um diese Entscheidung treffen zu können.

Die Autoren der Arbeit können über info@spektral.at erreicht werden.

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